Vision TeKardio 1.0

C Ausblick In der Stellungnahme des Medizinischen Dienstes des Spitzenverbandes Bund der Krankenkassen e.V. (MDS) vom September 2010 über Telemonitoring/Telenachsorge von implantierten kardiologischen Aggregaten wurde Telemo- nitoring von Patientenmit implantiertemkardiologischen Aggregat als sog. „Neue Untersuchungs- und Behand- lungsmethode“ mit entsprechenden abrechnungsrele- vantenMerkmalen beurteilt. Insoweit wurde die bisherige Nichtabrechenbarkeit der Leistung bekräftigt. Demgegenüber gelingt jedoch durch ambulante Dia­ gnostik- und Präventionskonzepte unter Einbeziehung des Telemonitorings die Implementierung einer epi­ demiologisch effizienteren, preiswerteren und patienten­ freundlicheren Medizin – gerade auch an geographisch ungünstigen Patientenstandorten mit unzureichender medizinischer Infrastruktur. Diese Aussage basiert auf zahlreichen Faktoren und Bedingungen, mit denen sich das öffentliche Gesund- heitswesen in Deutschland derzeit konfrontiert sieht. Trotz konstanter bis leicht steigender Studentenzahlen im Fachbereich Medizin ist es bislang nicht gelungen, den aufgrund Bestandsüberalterung vorherrschenden Bedarf an niedergelassenen Ärzten auf dem Land, Hausärzten generell sowie Klinikärzten in kleineren bis mittleren Häusern zu decken. Allein die Öffnung der Landesgrenzen für innereuropäische Fachkollegen hat dazu beigetragen, die Dienstfähigkeit zahlreicher Kliniken aufrecht zu er- halten. Die vielgezeigte High-Tech-Medizin und gute Per- sonalstruktur in einigen wenigen Vorzeigezentren und Universitätskliniken sind wenig geeignet, über diesen Umstand eines unzureichenden Personalschlüssels in der Fläche hinwegzutäuschen. Dem gegenüber stehen glei- che Krankenkassenbeiträge bei städtischer und ländlicher Bevölkerung mit gleichsinnig ansteigender Tendenz, trotz teilweise bestehender Versorgungsengpässe. Die ärztliche Freude am unbürokratischen Helfen, ver- bunden mit zahlreichen Karrieremöglichkeiten von Ärz- ten, die sich früher auch in individuell ungedeckelten öko- nomischenMöglichkeiten bemerkbar machen konnten, ist einemvermehrten Prozess- und Personalcontrolling durch Verwaltungen, Krankenkassen und Standesorganisatio- nen teilweise gewichen. Doch alleinige Kontrolle ist zum Aufbau empathischer Arztpersönlichkeiten ungeeignet. Dem gegenüber stehen Zentralisierungsbestrebungen und Kettenbildungen im Klinikbereich als Ausdruck einer von angelsächsischen Ländern bekannten Wirtschafts­ liberalisierung des Krankenhaus- und Gesundheitswesens. Dies bedeutet eine Konzentrierung von Medizin in im- mer weniger Händen und in klaren Konzeptabläufen, die notwendigerweise auch von Nichtmedizinern verwaltet werden können. Unter Optimierung der zusätzlich be- stehenden Raum- und Zeitproblematik an geographisch ungünstigen Patientenstandorten rückt die Telemedi- zin oder – im Falle von kardiologischen Patienten – das Telemonitoring in den Fokus der Versorgungsforschung. Gerade in ländlichen Gebieten gelingt es, Patienten über weite Distanzen hinweg kontinuierlich zu kontrollieren und Fehlfunktionen von kardiologischen Device-Implanta- ten zu detektieren – noch ehe sich daraus ein Notfall ent- wickelt, dessen schnelle Versorgung gerade in ländlichen Gebieten aufgrund der langen Anfahrt von Rettungs- kräften nicht selten fatal endet. Im Falle einer Telemo- nitoring-Überwachung von ICDs handelt es sich zudem überwiegend um schwer herzinsuffiziente Patienten, die aufgrund der Schwere ihrer Erkrankung durch zahlrei- che Komplikationsmöglichkeiten bedroht sind. Aufgrund einheitlicher Abrechnungsziffern für Herzschrittmacher und ICDs und fehlender Unterscheidung in der Qualitäts­ sicherungsüberwachung der kassenärztlichen Vereinigun- gen ist die Anzahl der ICD-kundigen Ärzte zudem unklar. Doch auch Telemonitoring von Herzschrittmacherpati- enten ist von entscheidendem Vorteil für Patienten, wie die ASSERT-Studie zeigen konnte. Bei Patienten mit einem Altersdurchschnitt von 76 Jahren konnten in 60% der Fälle atrialeHochfrequenzepisodennachgewiesenwerden, 51% dieser Episoden entsprachen Vorhofflimmerepisoden. Da nur 7,5% der Ausgangspopulation antikoaguliert waren, ist dem Telemonitoring hierbei ein hoher präven- tiver Wert zur Vermeidung von Schlaganfällen und nach- folgenden Pflegekosten bei der insgesamt überalterten Bevölkerung inwestlichen Industrienationen zuzuordnen. Insoweit wird das Telemonitoring maßgeblich dazu bei- tragen, den in § 72 (2) SGBV formulierten Sicherstellungs- auftrag der Krankenkassen für ihre Versicherten auch an geographisch ungünstigen Standorten sowie im Falle von engmaschig kontrollbedürftigen schwerkranken oder geriatrischen Patienten zu decken. Neben einem prinzipiell vorhandenen quantitativen Per- sonalproblem in kleinen bismittleren Klinikenmindert die Kombination aus Gestaltungsverlust leitender Ärzte so- wie daraus resultierender Karriereunlust von Ärzten an der Basis die Qualität der stationären Versorgung. Nicht selten wird die Arzt-Patient-Beziehung durch Zuständig- keitsverlagerung und ständige Arztwechsel bei Klinik­ ärzten beeinträchtigt. Dem gegenüber steht die ambu- lante Versorgung durch niedergelassene Fachärzte, die ein individuelles Patientenmandat übernehmen, sobald der Behandlungsvertrag zwischen Arzt und Patient ein- mal in Kraft getreten ist. Allein die fachliche Kompetenz und ständige fachliche Updateverwaltung von niederge- lassenen Ärzten stellen eine Herausforderung dar, da die interkollegiale Kommunikation – wie in Kliniken vorhan- den – hierbei teilweise fehlt. Update-Abonnements aus der Hand von Universitätskliniken könnten hierbei Abhilfe schaffen. Schließlich wird das Telemonitoring zu einem guten In- strument der Versorgungsmultiplikation, das auch in der Hand von Krankenkassen und nichtärztlichen Orga- nisationen seine medizinische Relevanz erhält. Denn die Diagnose- und Aussagestruktur entspricht bereits ei- nem Expertensystem, dessen Validität auch in der Hand von nichtärztlichem Personal aussagekräftig bleibt. Dem unverzichtbar gewordenen Trend, auch von Seiten der Krankenkassen Gesundheitsprogramme anzubieten, wer- den sich Call-Zentren zur Überwachung von kardiologi- schen Devices und präventiv arbeitenden Biomonitoren in den Räumen der Krankenkassen anschließen. Studien, die allenfalls eine Nichtunterlegenheit der Telenachsorge gegenüber herkömmlicher Nachsorge be- schreiben, wurden zur Gewährleistung geeigneter Kon­ trollgruppen zudem anmedizinisch gut versorgten Stand- orten durchgeführt. Insoweit konnte die eigentliche Stärke von Telenachsorge und Telemonitoring an geographisch ungünstigen Patientenstandorten nicht abschließend ge- würdigt werden. Last but not least sind es doch die Patienten und ihre Zufriedenheit, die unser ärztliches Handeln maßgeblich beeinflussen sollten. In einem technikdominierten Zeit­ alter wünschen sie sich Gesundheitslösungen unter Aus- nutzung aller verfügbaren Technologien. Wir übernehmen ein umfassendes Gesundheitsmandat. Diesem hohen An- spruch müssen wir uns stellen – jetzt und in Zukunft. 84 85

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