Vision TeKardio 1.0

A.5 Paradigmenwechsel in der medizinischen Versorgung von Implantatpatienten A.5.1 Von der „just in time“ zur „just in case“ Versorgung Bei der Früherkennung geht es vornehmlich um die lü- ckenlose Überwachung von Patienten, die gesundheitlich besonders belastet oder gefährdet sind. Hier gilt es, aku- te Gefahrensituationen früh genug zu erkennen, damit der Arzt bzw. der Patient rechtzeitig informiert wird und medizinische Maßnahmen eingeleitet werden können – möglichst bevor sich der Gesundheitszustand soweit ver- schlechtert hat, dass eine erfolgreiche Behandlung kaum noch möglich ist. Das Therapiemanagement hingegen zielt darauf ab, den Therapieverlauf eines Patienten auf Basis regelmä- ßiger Informationen zu verfolgen, die weit über die üb- liche Momentanaufnahme konventioneller Nachsorgen hinausgehen. So leiden zahlreiche Implantatpatienten beispielsweise unbemerkt unter wiederkehrenden Rhythmusstörungen, die bei längerem Anhalten schwer- wiegende Komplikationen – wie Schlaganfälle oder eine Herzmuskelschwäche – begünstigen können. Durch die Telekardiologie ist es möglich, den Zustand des Herzens und des implantierten Systems zuverlässig und durchgehend zu überwachen – unabhängig vom aktuel- len Aufenthaltsort des Patienten. Neben der Herztätigkeit des Patienten überwacht das Implantat auch seine eige- ne Funktionstüchtigkeit. Stellt es einen technischen De- fekt oder Rhythmusstörungen fest, wird der behandelnde Arzt über das Remote Monitoring innerhalb von 24 Stun- den alarmiert. Er kann seinerseits sofort reagieren und Kontakt mit demPatienten aufnehmen, umz. B. passende Handlungsanweisungen zu geben oder eine zeitnahe Kon- trolluntersuchung zu vereinbaren. Die tagesaktuelle Da- tenverfügbarkeit ermöglicht es, die Nachsorgeintervalle der Patienten flexibel zu planen und die Arztbesuche an deren gesundheitliche Erfordernisse anzupassen. Untersuchungen haben gezeigt, dass rund 90% der üb- lichen Routinekontrollen ohne jede Konsequenz für den Patienten bleiben, d.h. weder eine Therapieanpassung noch eine Umprogrammierung vorgenommen wird. Für die restlichen 10% findet die routinemäßige Nachsorge da- gegen viel zu spät statt. Der Gesundheitszustand hat sich bereits stark verschlechtert und Klinikaufenthalte sind nicht mehr abzuwenden. Ähnliches konnte für Fehlthera- pien beobachtet werden, die infolge eines zu spät erkann- ten Systemdefekts ausgelöst wurden. Zusammenfassend lässt sich daraus schließen, dass die Mehrzahl der Patien- ten zu häufig in die Nachsorgeambulanz kommt, einige wenige hingegen eher zu spät. An dieser Stelle wird der Mehrwert von telekardiologischen Betreuungskonzep- ten besonders deutlich: Durch den tagesaktuellen Infor- mationsfluss wird die sichere und den individuellen An- forderungen entsprechende Versorgung der Patienten gewährleistet. Die Unterstützung der Behandlung durch die telekardiolo- gische Nachsorge stellt den regelmäßigen Arzt-Patienten- Kontakt und die körperliche Untersuchung des Patienten indes keinesfalls in Frage. Vielmehr werden so eine Ver- netzung der benötigten Kompetenzen und eine stärkere Einbindung der niedergelassenen Kardiologen in die Ver- sorgung von Implantatpatienten ermöglicht. Mit Hilfe so genannter Remote Monitoring Lösungen kön- nen Patienten mit implantierbaren Herzschrittmachern, Defibrillatoren (ICD) oder Systemen zur kardialen Resyn- chronisationstherapie (CRT) nach der Implantation zu je- dembeliebigen Zeitpunkt von ihremArzt weltweit von zu- hause weiterbetreut werden. Remote Monitoring erlaubt die tägliche Übermittlung aller systemrelevanten und di- agnostischen Daten – vollautomatisiert und ohne jegliche Mitwirkung des Patienten. Die Daten werden zeit- und er- eignisgesteuert über eine im Implantat integrierte Anten- ne an ein Patientengerät gesendet. Über dieses gelangen die Implantatdaten zu einem zentralen Rechenzentrum, wo sie nach patientenindividuellen Risikokriterien ausge- wertet und dem behandelnden Arzt über eine geschützte Internetseite zur Beurteilung zur Verfügung gestellt wer- den. Daneben hat sich Telemonitoring bei der fortlaufen- den Therapieanpassung und -optimierung bewährt. Der Einsatz der Mobilfunktechnologie ermöglicht die weltwei- te Nutzung dieser Vorteile – selbst dann, wenn die Patien- ten reisen. Kein anderes Nachsorgeschema wäre sonst in der Lage, so frühzeitig Auffälligkeiten im Hinblick auf dia- gnostische und technische Werte aufzudecken. Die klassischen Nachsorgetermine zeichnen sich dadurch aus, dass der Zeitbedarf für den einzelnen Patienten star- ken Schwankungen unterliegt, da erst im Rahmen der Nachsorge festgestellt werden kann, ob aufgetretene Veränderungen ggf. aufwändige Nachuntersuchungen notwendig machen oder lediglich eine kurze Standard- nachsorge erforderlich ist. Telemonitoring ermöglicht es, den Untersuchungsaufwand individuell im Voraus abzu- schätzen und die Nachsorgetermine entsprechend einzu- planen. Nachsorgen von unauffälligen Patienten können zeitlich dichter geplant und Arbeitszeiten optimal genutzt werden. Schon heute profitieren mehrere 100.000 fernbetreute Patienten weltweit von dem verbesserten Sicherheitsge- fühl und einer größeren Bewegungsfreiheit im täglichen Umgang mit ihrem Implantat. Drahtlose Datenübertra- gungen per Mobilfunk erlauben die weltweite Nutzung telemedizinischer Serviceleistungen und eine zuverlässi- ge Früherkennung kardialer Ereignisse. Insbesondere für Herzinsuffizienz-Patienten ist die Kombination aus inno- vativer Sensortechnik und lückenloser Fernbetreuung die Grundlage für eine besseremedizinische Versorgung. Aber auch für Schrittmacher- und Defibrillator-Patienten erge- ben sich enorme Vorteile imHinblick auf die Qualität ihrer Behandlung. Daten an den Arzt übermittelt, verspricht Erfolg. Wichtig für den Erfolg von Telemedizinver- trägen von Krankenkassen ist zudem, dass die drei Hauptbeteiligten – Patient, Arzt und Kran- kenkasse – tatsächlich Nutzen erkennen und erfahren. Ein Patient, der seinen Nutzen nicht von vornherein greifen kann, wird sich in einen derartigen Versorgungsvertrag nicht ein- schreiben. Ebenso der Arzt: Sollte kein erkennbarer Nutzen für ihn erlebbar sein, wird er wenig Motivation haben, einen derartigen Versorgungsvertrag zu schließen oder – sofern ein solcher Vertrag z. B. über eine Management-Gesellschaft abgeschlossen wurde – diesen Vertrag mit Leben zu erfüllen. Genauso verhält es sich bei der Krankenkasse, die keinen Vertrag schließen wird, der ihr keinen Nutzen verspricht. Erschwerend ist, dass diese drei Hauptbeteiligten ihren Nutzen nicht gleichartig erfahren. Während der Arzt – z. B. über Honoraroptimierung – und die Krankenkasse – z. B. über weniger Kosten für Krankenhausbehandlungen – ihren Nutzen eher direkt erfahren, findet die Nutzenerfahrung des Patienten eher indirekt oder intangibel – z. B. über höhere Lebensqualität – statt. Dies sind Umstände, die es bei telemedizinischen Vor- haben unbedingt zu berücksichtigen gilt. 62 63

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