Vision TeKardio 1.0

A.4 Studien zur telemedizinischen Überwachung von Implantat- patienten Die telemedizinische Betreuung von Patienten mit im- plantierbaren Herzschrittmachern und ICD-Systemen ist seit vielen Jahren Gegenstand wissenschaftlicher Unter- suchungen, die neben der technischen Machbarkeit und Zuverlässigkeit der Informationsübermittlung vor allem die klinische und ökonomische Effektivität überprüfen sol- len. Neben den Schrittmacher- und ICD-Indikationen rückt vor allem die Herzinsuffizienz als Krankheitsbild verstärkt in den Mittelpunkt des wissenschaftlichen Interesses. Die Herzinsuffizienz stellt Gesundheitssysteme wirtschaft- lich vor immer größere Herausforderungen und ist bereits heute bei den über 65-jährigen Patienten der häufigste Grund für eine Krankenhauseinweisung. Viele Patienten mit einer leichten bis mittelmäßigen Herzinsuffizienz sind durch Arrhythmien belastet, die durch eine Pumpschwä- che oder eine abnehmende Hämodynamik des Herzens bedingt sind. Bemerkenswert ist, dass die Herzschwäche das Risiko eines plötzlichen Herztodes verfünffacht. Eini- ge dieser Patienten erfahren trotz optimaler Arzneimit- teltherapie keine wirkliche Besserung ihrer Symptome, profitieren jedoch nicht selten von der Implantation eines Systems zur kardialen Resynchronisationstherapie (CRT). Die altersbedingte Zunahme der Herzinsuffizienzpatien- ten und die fortlaufende Erweiterung der ICD-Indikation haben in den vergangenen Jahren zu einem deutlichen Implantationsanstieg und damit zu einer Zunahme der Patienten geführt, die ein Leben lang nachgesorgt und in- tensiv betreut werden müssen. Bereits im Jahr 2007 wur- den über 1,6 Millionen Geräte in den USA und in Europa implantiert, welche unter Anwendung der leitlinienge- rechten Nachsorgepraxis über 5,5 Millionen Arztbesuche jährlich generieren würden. Insofern wundert es kaum, dass die Mehrheit der Untersuchungen auf die sichere Früherkennung und Effektivität der telemedizinischen Be- treuung von ICD- und CRT-Patienten fokussiert ist, die laut Leitlinie vierteljährlich nachzusorgen sind. Ein sicheres und effektives Remote Monitoring könnte die Langzeit- versorgung von Implantatpatienten allgemein effizienter und auch sicherer machen. Dies gilt auch für den Einsatz in der Schrittmachertherapie. Obwohl sich das Telemoni- toring hier aus verschiedenen Gründen langsamer etab- liert als im ICD-Bereich, zeigen sich auch bei dieser Indika- tion enorme Vorteile imHinblick auf Rhythmusdiagnostik, Schlaganfallprävention und die Effektivität der Nachsorge. In den publizierten Remote Monitoring Studien wurden verschiedene Patientengruppen analysiert (Herzschritt- macher-, ICD- und CRT-Patienten), wobei die meisten Pati- enten männlich und zwischen 58 und 76 Jahre alt waren. Die früheren Untersuchungen widmeten sich zunächst der technischen Machbarkeit des Remote Monitorings im klinischenUmfeld und hielten den Beobachtungszeitraum relativ kurz. Im Rahmen dieser kurzen Studienperioden zeigten sich vorwiegend klinische, seltener auch konfigu- rationsbedingte oder gerätebezogene Probleme. Nachdem die technische Machbarkeit der telemetrischen Datenab- frage seit vielen Jahren als erwiesen gilt, liegt der Studien- fokus heute vermehrt auf der klinischenWirksamkeit und Wirtschaftlichkeit der erhältlichenMonitoring-Lösungen. 53 Der folgende Abschnitt stellt die wichtigsten Studiener- kenntnisse zur klinischen und ökonomischen Wirksam- keit des täglichen Implantatmonitorings vor, beleuchtet seine Akzeptanz und dessen Einfluss auf die Nachsorge­ gewissenhaftigkeit der Patienten. A.4.1 Patientensicherheit und Zuverlässigkeit des Telemonitorings Notwendigkeit einer kontinuierlichen Überwachung von Implantatpatienten Angesichts der zunehmenden Zahl an Implantatpatienten stellt die konventionelle Nachsorge dieser Patientengrup- pe, die in fest vorgegebenen Intervallen stattfinden muss, einen großen zeitlichen, finanziellen und organisatori- schen Aufwand für die Kliniken sowie die niedergelasse- nen Kardiologen dar. Gleichzeitig sind die vierteljährlichen oder halbjährlichen Routinenachsorgen nicht adäquat in 53 Burri et al., 2011. der Lage, klinisch relevante Ereignisse außerhalb dieser re- gulären Nachsorgetermine zu detektieren, da diese in der Regel nicht vorhersehbar sind und zu jedem beliebigen Zeitpunkt auftreten können. 54 Insbesondere für asymp- tomatische Patienten bedeutet dies ein großes Risiko. Die empfohlenen Nachsorgeintervalle für Schrittmacherpa- tienten fallen nach den Leitlinien etwas länger aus als für die ICD- und CRT-Patienten, was in Relation eine potenziell noch frühere Ereignisdetektion ermöglicht, wenn Telemo- nitoring eingesetzt wird. Notwendigkeit einer kontinuierlichen Nachsorge: Beispiel-Studie Heidbüchel et al. (2008) haben in einer Studie mit 169 ICD-Patienten untersucht, inwieweit sich konventionelle Nachsorgetermine durch Remote Monitoring reduzieren lassen. Ergebnisse: ÿ ÿ 88% aller Untersuchungen waren planmäßig. Relevante Ereignisse konnten jedoch nur in 21,8% dieser Visiten festgestellt werden. ÿ ÿ Obwohl die außerplanmäßigen Visiten einen Anteil von nur 12% an der Gesamtzahl der Untersuchungstermine stellten, führten 84% dieser Visiten zu Interventionen bzw. Anpassungen in der Therapie. Fazit: Die kalenderbasierten Routinenachsorgen sind un- zureichend und ineffektiv, da die meisten Probleme, die ein Eingreifen erfordern, zwischen diesen Terminen auftreten. Zu den stillen, aber sehr schwerwiegenden Zustandsver- schlechterungen zählen beginnende Dekompensationen bei Herzinsuffizienzpatienten oder unbemerkt auftre- tendes Vorhofflimmern. Selbst wenn Symptome auftre- ten, wird die Ernsthaftigkeit oft unterschätzt und führt zu einer verzögerten Behandlung und unnötigen Gesund- heitsrisiken. 55 Die konventionelle Datenabfrage ist nicht 54 Varma 2009, Theuns 2009; Kleeman 2007; Ricci 2009; Nielsen et al., 2008; Heidbüchel et al., 2008. 55 Lazarus 2007. nur limitiert durch große Lücken zwischen den Abfragen, sondern auch durch die Verdichtung der gebündelten Da- ten, die den Wert der Informationen herabsetzt. 56 Vorhofflimmern (AF) ist die weltweit häufigste Arrhyth- mieform und tritt bei 25 – 50% aller herzschwachen Pa- tienten auf. AF ist häufig asymptomatisch, kann für die Patienten aber auch belastend sein, wenn Symptome wie Schwindel, Übelkeit, Brustschmerzen oder allgemeine Leistungsschwäche auftreten. AF betrifft etwa 1 – 1,5% der Gesamtbevölkerung. Es wird erwartet, dass sich die Zahl der betroffenen Patienten innerhalb der nächsten 10 bis 20 Jahre infolge der verbesserten Lebenserwartung von vorbelasteten Patienten und der voranschreitenden Al- tersentwicklung verdoppeln oder verdreifachen wird. Es wird geschätzt, dass mehr als 10% der 80-jährigen unter Vorhofflimmern leiden. 57 Vorhofflimmern ist klar mit einem erhöhten Risiko für Schlaganfälle und Herzschwäche assoziiert. Durchschnitt- lich 15% der Schlaganfälle treten bei Menschen mit AF- Episoden auf. Der sog. CHADS-Risikoscore kalkuliert das Schlaganfallrisiko von Patienten mit AF basierend auf den folgenden Faktoren: Congestive heart failure (C), Hyper- tension (H), Age > 75 years (A), Diabetes mellitus (D) – jeder davon hat den Punktwert 1 – und vergangene Schlagan- fälle oder kurzzeitige ischämische Anfälle (TIA / S2), wel- che mit 2 Punkten bewertet sind. Mit jedem Punkt steigt das Risiko um den Faktor 1,5 von 1,9 / 100 Patientenjahre (Score = 0) bis 18,2 / 100 Patientenjahre (Score = 6). Jährlich erleiden rund 15 Millionen Menschen einen Schlaganfall. Die WHO schätzt, dass 2020 über 60 Millionen gesunde Lebensjahre nur durch Schlaganfälle verloren gegangen sein werden. Rund 1/6 aller Schlaganfälle ist durch AF ver- ursacht; dies nimmt altersbedingt weiter zu. Vorhofflim- mern ist – unabhängig von den Symptomen – ein Prädik- tor für Embolien und Todesfälle. 58 Zudem erhöht es das Schlaganfallrisiko um das Fünffache gegenüber gesun- den Menschen. Klinische Studien unterstreichen daher die Wichtigkeit der Früherkennung von Vorhofflimmern insbesondere auch bei Herzschwächepatienten, da Vor- hofflimmern hier das Morbiditäts- und Mortalitätsrisi- ko nachweislich erhöht. 59 Die hohe AF-Inzidenz und das 56 Varma 2005. 57 vgl. hierzu z. B. Kompetenznetz Vorhofflimmern 58 Ricci 2009. 59 Ehrlich 2009; Sack et al., 2011; Delarche et al., 2011; Healey et al., 2012. 46 47

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