Vision TeKardio 1.0

Die aktuelle Situation um die Nichtabrechenbarkeit be- stimmter telekardiologischer Leistungen sollte schnell und effektiv gelöst werden – entweder durch Ausweitung von Selektivverträgen auf andere gesetzliche Krankenkas- sen oder durch ihre Übernahme in die generelle Leistungs- pflicht sämtlicher gesetzlicher Krankenkassen nach Ent- scheidung des Gemeinsamen Bundesausschusses. Eine wegweisende Entscheidung zur Kostenübernahme für die Telekardiologie erscheint auf der Basis der genann- ten neuen Studien aussichtsreich – diese positive Ent- scheidung wird von politischen Entscheidungsträgern, Krankenkassen, Ärzteverbänden und Industrie in naher Zukunft getroffen werden müssen. Der vorliegende Qualitätsbericht mit seinem umfang- reichen Datenbestand wird einen wesentlichen Beitrag dazu leisten, den Nutzen von Telekardiologie für die Pa- tienten aufzuzeigen. Das Buch beleuchtet insbesondere den aktuellen Stand der Telemedizin im Bereich der Im- plantatüberwachung und die Qualität der ambulanten Patientenversorgung. Hierbei werden u.a. die klinische Wirksamkeit, die Patientenakzeptanz, ökonomische Effek- te sowie rechtliche Aspekte der telemedizinischen Betreu- ung mitberücksichtigt. A.2 Grundlagen A.2.1 Einsatz und Funktion elektrischer Implantate Herz-Kreislauf-Erkrankungen als große Herausforderung des 21. Jahrhunderts Medizinisch betrachtet bilden Herz-Kreislauf-Erkran- kungen in den Industrieländern die häufigste Todesur- sache. Laut Statistischem Bundesamt stirbt fast jeder zweite Deutsche infolge einer Herz-Kreislauf-Erkrankung. Zugleich werden beachtliche Mittel für den Erhalt und die Wiederherstellung der Gesundheit investiert. Im Jahr 2002 entfielen von den insgesamt 224 Mrd. Euro rund 35 Mrd. auf Erkrankungen des Herz-Kreislauf-Systems, also mehr als 15%. 25 Damit stehen Herz-Kreislauf-Erkrankungen an Platz eins der Ausgabenstatistik. Die Ursachen für die ge- stiegenen Gesundheitsausgaben sind vielfältig. In der Ge- sellschaft steigen sowohl die Lebenserwartung, als auch die Morbidität. Chronische Erkrankungen wie die Herzin- suffizienz nehmen einen großen Anteil der Versorgungs- leistungen in Anspruch. Von den insgesamt 2,7 Mrd. Euro wurden allein 8% für die Behandlung der herzinsuffizien- ten Patienten ausgegeben, wobei rund 70% davon im sta- tionären Bereich anfielen. 26 Gleichzeitig stellen die Patienten höchste Ansprüche an ihre Versorgung: Der Arzt ist nicht nur verpflichtet, seinen Patienten die bestmögliche Versorgung nach neuestem Wissens- und Kenntnisstand zu gewäh- ren. Diese werden auch mündiger und mobiler, und der Verlust von Flexibilität kann als Einschränkung der Lebensqualität wahrgenommenwerden. Dies führt wiede- rum dazu, dass Patienten die bestmögliche und sicherste Versorgung – unabhängig von ihrem aktuellen Aufent- haltsort – beanspruchen. Abb. A 1 Häufigste Todesursachen unter den Herz-Kreislauf-Erkrankungen (2003) Ursache Fälle Gesamtanteil (%) Chronische ischämische Herzkrankheit 92.673 10,9 Akuter Herzinfarkt 64.229 7,5 Herzinsuffizienz 59.117 6,9 Schlaganfall 37.579 4,4 25 Vgl. www.destatis.de . 26 Robert Koch Institut 2006; Zugck et al., 2005. Implantate zur Behandlung von Herzrhythmusstörungen Unter dem Oberbegriff „elektrische Implantate“ werden nachfolgend Herzschrittmacher, implantierbare Defibril- latoren (ICD) und Systeme zur kardialen Resynchronisa- tionstherapie (CRT) zusammengefasst. Die Behandlung bradykarder Rhythmusstörungen mit Hilfe eines Herz- schrittmachers existiert bereits seit mehr als 50 Jahren. Diese waren durch bedeutsame Weiterentwicklungen geprägt, die von der Zweikammerstimulation bis hin zur automatischen Frequenzanpassung bei Gefühlsverände- rungen reichen. Anfang der 80er Jahre wurde die Schritt- machertherapie durch die Einführung Implantierbarer Kardioverter /Defibrillatoren (ICD) zur Sekundärpräventi- on eines plötzlichen Herztodes durch ventrikuläre Tachy- kardien (Kammerflimmern) ergänzt. Die Einführung neu- er intelligenter Therapiealgorithmen sowie innovativer Materialien hat dazu geführt, dass die Aggregate später nur noch die Größe einer Streichholzschachtel hatten. Dies ebnete u.a. den Weg für die transvenöse Geräteimplanta- tion, die als wichtige Voraussetzung für die zunehmende Verschiebung der Implantationsprozeduren aus dem sta- tionären in den ambulanten Leistungsbereich betrachtet werden kann. Die 2002 publizierten Daten der MADIT-II- Studie führten weiter dazu, dass der ICD schließlich auch primärprophylaktisch bei bestimmten Patienten mit ko- ronarer Herzkrankheit (KHK) oder besonderemRisikoprofil indiziert werden konnte 27 . Dies hat die Überlebensraten von gefährdeten Patienten inzwischen signifikant verbes- sert. In den 90er Jahrenwurde die Schrittmacher- und ICD- Therapie umdie biventrikuläre Stimulation erweitert und eine neue Therapieform zur Behandlung herzinsuffizien- ter Patienten mit eingeschränkter Pumpfunktion einge- führt. Die sog. kardiale Resynchronisationstherapie (CRT) ist in der Lage, die Herztätigkeit dieser Patienten deutlich zu verbessern (COMPANION-Studie). 28 Die Indikationen und der Einsatz aktiver Herzschrittmacher-, ICD- und CRT- Systeme (Gerätetherapien) sind in offiziellen Leitlinien der internationalen Fachgesellschaften verankert und umfas- send erläutert. 29 Herzschrittmacher, ICD- und CRT-Systeme zählen seither zu den bedeutendsten Therapieoptionen für Herzrhyth- 27 Moss et al., 2002. 28 Bristow et al., 2004. 29 Hemmer et al., 2009; Rybak et al., 2008. muspatienten. Obwohl die Krankheitsbilder der verschie- denen Patientengruppen stark variieren, lässt sich jede Rhythmusstörung zunächst auf eine Fehlfunktion der elektrischen Erregungsbildung bzw. -leitung der Patienten zurückführen. Die im Herzen erzeugten elektrischen Im- pulse regulieren üblicherweise die Geschwindigkeit und Abfolge des Herzschlags. Die Herzfrequenz ist maßgeblich von der individuellen Verfassung abhängig und beträgt in Ruhe durchschnittlich 50 bis 90 Schläge pro Minute. In Belastungssituationen muss das Herz erheblich schnel- ler schlagen, um den Sauerstoffbedarf des Körpers zu decken. Das elektrische Reizleitungssystem des Herzens umfasst spezialisierte Muskelzellen, die das Herz kabel­ ähnlich durchziehen. Über sie wird der Herzmuskel zu Kontraktionen angeregt. Angeborene Herzerkrankungen, zusätzliche Leitungsbahnen oder auch Blockaden des Reiz- leitungssystems können die Reizbildung und -überlei- tung stören und Herzrhythmusstörungen (Arrhythmien) verursachen. Herzschrittmacher In Ruhe schlägt ein gesundes Herz pro Minute etwa 70 mal. Die Impulse werden normalerweise im Sinus­ knoten erzeugt und vom Vorhof über den AV-Knoten in die Kammern bis zur Herzspitze geleitet. Durch die elek- trischen Impulse zieht sich das Herz mit jedem Zyklus gleichmäßig zusammen. Sind die natürlichen Taktgeber des Herzens, der Sinus- oder der AV-Knoten, beeinträch- tigt, können Rhythmusstörungen entstehen, die die Herz­ frequenz dauerhaft herabsetzen (Bradykardie / -arrhyth- mie). In der Folge fällt es dem Herzen schwer, den Körper noch ausreichend mit Blut und Sauerstoff zu versorgen. Der Sauerstoffmangel kann dann Schwindelanfälle und Bewusstlosigkeit auslösen. 14 15

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