Vision TeKardio 1.0

A.1 Bedeutung der Telekardiologie in der Versorgung von Herz- schrittmacher- und Defibrilla- torpatienten: Einführung und Überblick Der unterstützende Einsatz von Telemonitoring in der Be- treuung von Herzschrittmacher- und ICD-Patienten ist bereits fester Bestandteil der Versorgungsrealität gewor- den. Zu Recht, geht dieses Versorgungskonzept doch mit zahlreichen Vorteilen sowohl für den Patienten, als auch für den Arzt und das Gesundheitssystem einher. Die häus­ liche Überwachung des Patienten rund um die Uhr stellt als Ergänzung zur persönlichen Betreuung durch den be- handelnden Arzt eine effiziente und hochqualitative Be- treuungsoption dar, die dem Patienten Sicherheit bietet und so seine Lebensqualität erhöht. Bei Patienten mit ko- ronarer Herzerkrankung (KHK) und / oder Herzinsuffizienz können Rhythmusstörungen zu akuten, lebensbedrohli- chen Situationen führen. Risikopatienten müssen früh- zeitig identifiziert werden, denn Rhythmusstörungen kön- nen nicht nur Folge einer Herzerkrankung sein, sondern diese auch begünstigen. Die Diagnose von Herzrhythmus- störungen ist häufig nicht ganz einfach, da diese intermit- tierend und nicht immer leicht mit Hilfe eines EKGs er- fassbar sind und damit oft zu spät erkannt werden. Mit Hilfe eines telekardiologischen Systems wird eine frühzei- tige Intervention ebenso ermöglicht wie ein individuelles Therapiemanagement, z. B. die Anpassung der Medikation oder der Geräteeinstellungen. Telemonitoring-Systeme liefern Kardiologen relevante Vitalparameter und Systeminformationen, tagesaktuell und unabhängig vom Aufenthaltsort ihrer Patienten. Die telemedizinisch erbrachten Dienstleistungen reichen von der Diagnostik über die Therapie und Prävention bis zum postoperativen Patientenmanagement. Pilotprojekte aus der klinischen Praxis sowie große, randomisiert kontrol- lierte Studienergebnisse bestätigen, dass die Kontinuität der telekardiologischen Betreuung nicht nur eine präven- tive Behandlung ermöglicht (Primärprävention), sondern kritische Ereignisse – auch „stille“ (asymptomatische) – früher behandelbar (Sekundärprävention) macht. Darauf aufbauend ist es mit Hilfe der Telemedizin möglich, das Fortschreiten der Erkrankung von besonders risikogefähr- deten Patienten durch einen optimalen Therapieverlauf möglichst lange aufzuhalten und das Risiko gesundheit- licher Entgleisungen zu minimieren (Tertiärprävention). Neben der besseren Dokumentation von medizinischen Abläufen ermöglicht Telemonitoring die kontinuierli- che Beobachtung des Patientenzustands in der häusli- chen Umgebung der Patienten. Dies wiederum erlaubt die durchgehende Überwachung von relevanten System- und Vitalparametern bei chronisch kranken sowie risiko- gefährdeten Patienten. Nicht nur zahlreiche Studienergebnisse, auch die klinischen Anwender bewerten den Einsatz der telemedizinischen Verfahren sehr positiv. Zudem sind telemedizinische Ver- fahren auch bei den Patienten sehr gut akzeptiert. Dies lässt sich vor allem auf die erhöhte Sicherheit, mögliche Zeitvorteile und die damit verbundene Flexibilität in der täglichen Versorgung zurückführen. Trotz der geschilderten zahlreichen Vorteile, die mit der Te- lekardiologie einhergehen, können diese Leistungen bis- lang nicht von den Leistungserbringern abgerechnet wer- den. Die Überführung der telekardiologischen Leistungen in die Regelversorgung gestaltet sich durchaus schwierig. Immer wieder wird die Qualität von Daten, die aus wissen- schaftlichen Studien hervorgehen und die Grundlage für die Bewertung des Nutzens von Telekardiogie darstellen sollen, kritisch hinterfragt. Doch allein der wissenschaftli- che Anspruch reproduzierbarer Daten, die nach eingehen- der Prüfung durch mehrfache Peer-Review-Prozesse und valide statistische Auswertungen in sachlicher Weise dar- gestellt werden, macht eine Beschäftigung mit der dahin- ter stehenden Erkenntnistheorie nicht entbehrlich. Inso- weit ist die sorgfältige Definition von Studienendpunkten sowie eine strenge Zitationsdisziplin zur umfassenden Darlegung stärkender und schwächender Drittstudiener- gebnisse Bestandteil einer guten wissenschaftlichen Pra- xis und Wissenschaftsphilosophie. Im Zusammenhang mit diesen Inhalten sieht sich die Telekardiologie bereits zu Beginn der Diskussion mit einem – wenn auch nicht unlösbaren – Problem konfron- tiert. Einer der späteren Hauptprofiteure der Telemedi- zin hat ein skeptisches Gutachten abgegeben. In einer Publikation vom September 2010 („Telemedizin in der Kardiologie: Grundlagen, Studienlage und vergütungs- rechtliche Aspekte einer telemedizinischen Überwa- chung von Patienten mit implantiertem kardiologischem Aggregat“) thematisierte der Medizinische Dienst des Spitzenverbandes Bund der Krankenkassen e.V. (MDS) den Nutzen des Telemonitorings im Vergleich zur Standard- nachsorge. Zunächst unter Auslassung eines diesbezüg- lichen Expertengremiums fand eine Literaturrecherche in der elektronischen Datenbank PubMed statt – auf eine mehrfache Anpassung der Suchstrategiewurde verzichtet. Von 145 angezeigten Treffern in PubMed wurden fünf po- tentiell relevante Publikationen als Volltexte näher begut- achtet – davon zwei Studien wegen Mangels an patien- tenrelevanten Ergebnissen zuNutzen/ Wirksamkeit sowie eine Studie wegen Beschränkung auf Telenachsorge aus- geschlossen. Die Potenz der verbleibenden beiden Studien (TRUST 1 , OEDIPE 2 ) wurde wegen Fehlens des Doppelblind- versuchs, Verletzungen des Randomisierungsprozesses sowie statistisch unerfassten Drop-Outs von Patienten als insgesamt niedrig eingestuft. Auf der Basis dieser bei- den Nicht-Unterlegenheitsstudien hinsichtlich Mortalität und Morbidität fußt die Empfehlung dieses Gremiums, eine Kostenübernahme für das Telemonitoring seitens der Krankenkassen zunächst nicht zu gewähren. Ferner fallen die externen Übertragungskomponenten, die für die tele- medizinische Übertragung der Daten vom Patienten zum Arzt benötigt werden, nicht in die Leistungspflicht der ge- setzlichen Krankenkassen. Demgegenüber thematisiert das vorliegende Weiß- buch einen bereits jetzt erkennbaren und im Verlauf von DOQUVIDE wissenschaftlich nachzuweisenden patienten- relevanten Zusatznutzen des Konzepts Telemonitoring. Nach Erscheinen zahlreicher zusätzlicher Studien, die im September 2010 noch nicht bekannt waren, scheint eine Wende in der Beurteilung des Telemonitorings durch den MDS in greifbare Nähe gerückt. Die Potentiale des Telemo- nitorings in der Versorgung von Herzschrittmacher- und ICD-Patienten sollen auf der Grundlage aktueller Studien­ erkenntnisse im Folgenden zusammengefasst dargestellt werden. 1 Varma 2010a. 2 Halimi et al., 2008. Detektion von Vorhofflimmern Wie die jüngst veröf fentlichten Ergebnisse der ASSERT-Studie gezeigt haben, ist selbst subklinisches, asymptomatisches Vorhofflimmern mit einem 2,5 fach höheren Embolie- und Hospitalisierungsrisiko assoziiert. 3 Vorhofflimmern (länger als 6 Minuten mit einer Frequenz von über 190 Schlägen /Minute) konnte zudem bei 36% der Herzschrittmacher- und ICD-Patienten nachgewiesen werden. 4 Der Einsatz der Telekardiologie ermöglicht genau in diesen Fällen ein rascheres Erkennen von Herzrhyth- musstörungen, wie die Ergebnisse der Studien TRUST 5 , ALTITUDE 6 , ASSERT und COMPAS 7 zeigen. Vorhofflimmern kann demnach durch Telemonitoring früher erkannt und damit einhergehende unvermeidliche Sekundärkomplika- tionen wie der sehr kostenintensive Schlaganfall können verhindert werden. Früherkennung von Systemanomalien und Vermeidung inadäquater Gerätetherapien Obwohl Therapiesysteme, Diagnostik und Implantations- prozeduren zusehends besser geworden sind, bleibt ein gewisses Restrisiko für Komplikationen weiter bestehen. 8 Neben operativen Komplikationen (10%) stellen Elektro- dendefekte und inadäquate Therapien (12%) sowie aggre- gatbedingte Komplikationen (6%) einen beachtlichen An- teil der ICD- und Schrittmacherprobleme dar. Inadäquate Schockabgaben sind im Regelfall eine große Belastung für die betroffenen Patienten, die es möglichst zu vermei- den gilt. Die EVATEL- sowie die ECOST-Studie belegen auch hier den Nutzen der Telemedizin. Die vom französischen Gesundheitsministerium finanzierte EVATEL-Studie ana- lysierte Daten von mehr als 1.500 Patienten mit telemo- nitoringfähigen ICD-Geräten unterschiedlicher Herstel- ler. Es konnte gezeigt werden, dass die telemedizinisch betreuten Patienten über den Monitoring-Zeitraum von 12 Monaten insgesamt weniger inadäquate Schockabga- ben (4,7%) erhielten als die konventionell betreuten Pati- enten in der Kontrollgruppe (7,5%). 9 Auch im Rahmen der randomisierten, kontrollierten ECOST-Studie mit 433 ICD- Patienten wurden über einen Zeitraum von 27 Monaten 3 Healey et al., 2012; Shanmugam et al., 2011. 4 Healey et al., 2010. 5 Varma et al., 2010a,b,c. 6 Saxon et al., 2010. 7 Mabo et al., 2011a. 8 Ruffy 2007. 9 Mabo et al., 2011a. 10 11

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